Von Weizsäcker: Das Verhältnis der Quantenmechanik zur Philosophie Kants

Inhalt des Kapitels aus "Das Weltbild der Physik, Hirzel 1949".

Von Kant übernimmt von Weizsäcker die Unerkennbarkeit des Dinges an sich aber nur insoweit, dass es nicht als klassisches Ding an sich erkannt werden kann: "Der Zusammenhang mit dem absoluten Begriff des Dings an sich, den K a n t benutzt, besteht zunächst nur, in der formalen Identität des Kantschen Schlusses auf die Unerkennbarkeit des Dings an sich mit unserem Schluss auf die Möglichkeit eines nicht klassischen Verhaltens der Atome."

Mit Bezug auf Kant formulierten von Weizsäcker, dass klassische Anschauung in der Physik aus den a prioi bestehenden Begriffen der Physik und den beobachteten Phänomenen entsteht. Von Weizsäcker nimmt Kant beim Wort. Kant will mit seinem Verhältnis von a priorischer Erkenntnis und der Erfahrung, ein Fundament liefern für jeden sich Wissenschaft nennenden Erkenntnisgewinn.

Als Wissenschaft wählt von Weizsäcker die Physik, um Kants Erkenntnistheorie beispielhaft zu konkretisieren und sie in diesem beschränkten Rahmen "umzudeuten" (Seite 108) . Sehr kurz zusammengefasst sind es die Begriffe der klassischen Mechanik, in denen wir die (durch Dinge erzeugten) Phänomene beschreiben oder begreifbar machen. Die Begriffe der klassischen Physik bilden das Apriori. Es besteht aus den Gesetzen der klassischen Physik (Funktionen in der Zeit und im Prinzip vollständig bekannten Anfangsbedingungen [und den Teilchen]). Die Phänomene nehmen wir wahr oder machen sie in Experimenten sichtbar, anschaulich. Aber auch nicht Sichbares wird in dem Sinne oder im Sinn entsprechend den Begriffen der klassischen Mechanik anschaulich.

Vernunft und Verstand prägen Anschauung von Gegenständen.

 

Von Weizsäcker deutet Erkenntnis a priori um. Angesichts der Ergebnisse der Quantenmechanik reicht ihm nicht eine Erweiterung des Apriori oder die Anwendung zweier Apriori - eines auf die klassische Mechnik, eines auf die Quantenmechanik. Er verlangt einen Einfluss der Erfahrung - des a posteriori - auf Vernunft, Verstand, sinnliche Anschauung - des a priori - zuzulassen. Damit verliert das a priori seinen ewigen Charakter und bekommt eine historische Seite.

Vernunft und Verstand prägen Anschauung von Gegenständen.
Gegenstände verändern Anschaung mit neuen Bestimmungen in Vernunft und Verstand.

Von Weizsäcker beendet diese Überlegungen mit dem Ausspruch: "Es ist ein Fehler viele erkenntnistheoretische Ansätze diesen fruchtbaren Zirkel aller Erkenntnis nicht beachtet zu haben" (Seite 111)

Wennn es um allgemeine Aussagen geht, ist damit eine erneute Klärung von dem, was Wahrheit oder Wissen von Meinung unterscheidet, von Nöten (Meditationsstufen, Seiten 111 - 117)

 

 

Inhalt und Zusammenfassung der betrachteten Teile des Artikels aus dem Buch

i) Der Inhalt der Quantenmechanik (Seite 80 - Seite 91)

  • Anschaulichkeit (Seite 81 - Seite 85)
    • Anschauung in der klassischen Physik besteht in den Begriffen, die sie in ihren Gesetzen verwendet.
      • Sie befasst sich mit lokalen mechanischen Bewegungen von Teilchen oder interferierenden (mechanischen oder elektroynamischen) Wellen. Die Wahrnehmung (Phänomene) immer auf ihren Gesetzes- und Begriffsappart projizieren.
      • Es gilt umgekehrt auch: "Das Weltbild der klassischen Physik nimmt an, dass auch Nichtwahrgenommenes dieselben Eigenschaften ... haben müsse, wie das Wahrgenommene." (Seite 82)
    • In der Quantenmechanik kann ich Anschauung nicht durch die Begriffe der Quantenmechanik erzeugen. Anschauung bleibt auf die klassischen Ergebnisse von Messungen/ Beobachtungen beschränkt, damit auch der (erweiterte) Begriff von Anschuung der klassischen Mechanik.
      • Aus dem Anschaulichen oder Wahrgenommenen (Stoß oder Interferrenz)  kann ich nicht auf den Charakter der Dinge schließen. Ich kann die Anschauung nicht objektivieren.
      • Das Nichtwahrgenommene kann ich nicht durch Gesetze ersetzen, die mir eine Anschauung erzeugen. Die Bestimmungsstücke, die ich nicht beobachtet habe, kann ich nicht aus Gesetzen rekonstruieren. In der quantenmechanik kenne ich nur den möglichen, nicht den sicheren Ausgang eines Experimentes, das eine klassiches Ergebnis haben muss.
    • Wie "direkte" Anschauung zustande kommt, überlässt die Physik der Psychophysik oder der Psychologie
  • Kausalität (Seite 85 - Seite - Seite 86)
    • Der Begriff der Kausalität ist in der klassischen Physik eingeschränkt auf die Beahauptung, dass es einen funktionalen Zusammenhang zwischen den klassischen Größen und der Zeit gibt. Die Bedingung ist allerdings, dass der Ausgangszustand in allen seinen Bestandteile genau bekannt ist.
      •  In Sinne der klassischen Physik gibt es subjektiven Zufall, weil nicht alles bekannt ist.
      • In der Quantenmechanik gibt es objektiven Zufall, weil nicht alles bekannt sein kann.
  • Objektivierbarkeit (Seite 86 - Seite 90)
    • Das Ergebnis hängt von der experimentellen Fragestellung nicht ab
    • Das Ergebnis hängt von der experimentellen Fragestellung ab, es gibt keine verborgenen Parameter.
  • Fragen der Endgültigkeit (Seite 90 - Seite 91)

ii) Philosophische Vorfragen (Seite 91 - Seite 99)

  • Problemstellung (Seite 91 - Seite 92)
    • Erfahrung umfasst 3 Vorgänge: 
      • Empfindung, das Objekt, das Urteil.
      • "Ich sehe einen Stuhl": Empfindung: Sehen, Ding: unspezifisch, Urteil: ein Stuhl
    • Trennt man die Vorgänge, kommt man zu Realismus odere Sensualismus 
  • Der Realismus der klassischen Physik (Seite 92 - Seite 95)
    • Die Physik beruht darauf, auch Dinge als real anzunehmen, die nicht beobachtet sind (weil zu viele Eigenschaften/ Empfindungen) oder nicht beobachtbar sind (weil zu unwirtlich oder unzugänglich). Dennoch nimmt unser alltagsrealismus an, dass es diese Dinge wirklich gibt.
      • Der praktische Realismus nimmt an, dass es objektivierbare Aussagen über die Außenwelt gibt, die den Erfahrungen entsprechen
      • Der prinzipielle Realismus behauptet, es keine nichtobjektivierbaren Aussagen. alle Aussagen sind objektivierbar.
    • Prinzipieller Realismus als Verallgmeinerung des praktischen Realismus scheitert an der Quantenmechanik. Hier gibt es Aussagen, die nicht experimentell zu entscheiden sind.
  • Sensualismus und Positivismus (Seite 95 - Seite 98)
    • Sensualismus sagt, alles oder einiges sei in der sinnlichen Anschuung und müsse nicht durch äußere Dinge hervorgerufen sein. 
      • Empiristischen Sensualismus drückt Locke aus als 'alles was wir wissen, wissen wir durch die Sinne'. Noch deutlicher sagt Berkley 'alle Sinnesäußerungen können durch Hallunzination oder Trug zustande kommen'. Er fügt hinzu 'müssen aber nicht'.
      • Prinzipieller Sensualismus von Hume und Mach geht davon aus, dass uns nur Sinnesempfindungen gegeben sind. Folglich sind auch alle Bündelungen von Sinneswahrnehmungen der Dinge und Gesetze nur wirklich als sie in den Sinnen sind.
  • Das Problem des "a priori" (Seite 98 - Seite 99)
    • Von Weizsäckers Frust: "Indem wir erst die Dinge, dann die Empfindungen und schließlich den Begriff des Gegebenen selbst in Frage zogen, haben wir gewiss "alles bekannte Land verlassen" und befinden uns auf hoher See. Gibt es wenigstens ein paar Sterne an denen wir uns orientieren können?" (Seite 98)
    • Und seine erhoffte Bekämpfung: "Wie wäre es, wenn wir die nicht empirischen Elemente der Erfahrung ins Auge fassten, ihre Existenz a. n die Spitze der Untersuchung stellten und ihre Wirksamkeit erforschten? Nichtempirisch ist ein anderes Wort für a priori. Wir treten damit in den Problemkreis der Philosophie Kants ein." (Seite 99)

iii) Kant und die Quantenmechanik (Seite 99 - Seite 117)

  • Thesen Kants (Seite 99 - Seite 104)
    • In diesem Abschnitt fasst von Weizsäcker Kants Erkenntnistheorie aus seiner Sicht zusammen, wie sie in der Kritik der reinen vernunft oder auch den Prolegomena entfaltet wird.
  • Vergleich mit der Quantenmechanik (Seite 104 - Seite 106)
    • Raum, Zeit, Ding an sich werden einer Kritik unterzogen. Dazu zieht von Weizsäcker die Antinomien Willen - Natur und Teil - Ganzes heran.
  • Folgerungen für den Begriff des "a priori" (Seite 107 - Seite 111)
    • Auf die Physik beschränkt fordert von Weizsäcker, von einem sich zwischen a posterior und a priori entwickelndem a priori auszugehen.
  • Meditationsstufen (Seite 111 - Seite 117)
    • Dieser Abschnitt beinhaltet die Skize Projekt, als ein a priori das sich mit der Zeit entwickelnde Bewusstsein fest anzunehmen. Das nennt von Weizsäcker Meditation. Was ist Wahrheit und Wissen, was ist Meinung?