Erkenntnisprozess bei Kant

Nach Kant erfolgt der Erkenntnisprozess nur durch im vorhinein (a priori) bestehende Erkenntnisstrukturen und Erkenntnismöglichkeiten. Vernunft und Verstand teilen sich die Aufgabe. Die Vernunft ergründet Gedankengegenstände spekulativ und stattet den Verstand mit Erkenntnismethoden aus. Verstandesdinge und Begriffe haben ihr Gegenüber in sinnlichen (nicht empirischen) Anschauungen. Der Verstand stellt Begriffe zur Verfügung, mit denen Wahrnehmungen zu Erfahrungen oder Gesetzmäßigkeiten werden können. Beides muss mit der - jetzt empirischen -  Anschaung rückgekoppelt werden. Was außerhalb des menschlichen Geistes liegt (das Ding an sich) ist als Ganzes nicht zu erkennen. Nur insoweit es die Wahrnehmung affiziert und der Verstand es einordnet,kann es erkannt werden.

Für Kant ist sind Geometrie und Algebra die Paradebeispiele für synthetische Erkenntnis a priori - also ohne Wahrnehmung von außen, durch Vernunft, Verstand und Sinne. Kant äußert sich im Teile "Was ist reine Matehmatik" zu Raum und Zeit. Er spricht ihnen keine außerhalb des Denkens liegende Realität zu. Sie sind für ihn reine Anschauungsformen. In den §§ 9 und 10 der Prolegomena argumentiert Kant mit Sinnen und Empfindungen.

Anschauungen, Sinne, Empfindungen

Die sinnlichen Anschauung oder Gegenstände der Sinne sind a priori vorhanden.

Prolegomena, § 9: "Denn daß Gegenstände der Sinne dieser Form der Sinnlichkeit gemäß allein angeschaut werden können, kann ich a priori wissen. Hieraus folgt: daß Sätze, die bloß diese Form der sinnlichen Anschauung betreffen, von Gegenständen der Sinne möglich und gültig sein werden, imgleichen umgekehrt, daß Anschauungen, die a priori möglich sind, niemals andere Dinge, als Gegenstände unsrer Sinne betreffen können."

Raum und Zeit sind reine Anschauungen, von allen Empfindungen befreit.

Prolegomena, § 10: "Geometrie legt die reine Anschauung des Raums zu[m] Grunde. Arithmetik bringt selbst ihre Zahlbegriffe durch successive Hinzusetzung der Einheiten in der Zeit zustande, vornehmlich aber reine Mechanik kann ihre Begriffe von Bewegung nur vermittelst der Vorstellung der Zeit zustande bringen. Beide Vorstellungen aber sind bloß Anschauungen; denn wenn man von den empirischen Anschauungen der Körper und ihrer Veränderungen (Bewegung) alles Empirische, nämlich was zur Empfindung gehört, wegläßt, so bleiben noch Raum und Zeit übrig, welche also reine Anschauungen sind, die jenen a priori zum Grunde liegen, und daher selbst niemals weggelassen werden können, aber ebendadurch, daß sie reine Anschauungen a priori sind, beweisen, daß sie bloße Formen unserer Sinnlichkeit sind, die vor aller empirischen Anschauung, d. i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände, vorhergehen müssen, und denen gemäß Gegenstände a priori erkannt werden können, aber freilich nur, wie sie uns erscheinen."

  • reine Anschauung: Sinne, Sinnlichkeit, sinnliche Anschauung
  • empirische Anschauung: Empfindung, Wahrnehmung
    • Subjektive Wahrnehmung ist individuelle Empfindung
    • objektive Wahrnehmung ist Wahrnehmung, die unter Verstandesbegriffe oder Gesetze subsumiert ist.

 

Erkenntnisgewinnung

Verstand (Begriff und reine Anschauung) und Erfahrung (objektiv: empirische Anschauung subsumiert unter Verstandesbegriffe) 

 

 

Vernunft - Anschaung - Gegenstand

Verstand ermöglicht Begriffsbildung, die durch Wissenschaft deutlich werden. Sie ermöglichen allgemeingültige Aussagen. Gedankendinge entspringen reiner Anschauung, Gegenstände der Erfahrung sind empirische Anschauungen, die der Wahrnehmung entspringen. Gegenstände als Ding an sich sind nicht erkennbar, sie affizieren die Wahrnehmung.

Was in der Grafik nicht so deutlich wird: Vernunft stellt Regularien für die Verstandestätigkeit dar, der Verstand synthetisiert, konstituiert an der Erfahrung zu überprüfende Gesetze. Am unteren Bildrand ist dieser Gedanke in Anlehnung an Brigitte Falkenburg "Die Form der Materie "ergänzt.

Zusammenspiel von Verstand, Vernunft, Urteilskraft und Anschauung

Autoren wie Ottmar Höffe, Marcus Willaschek, Julie E. Maybee und Brigitte Falkenburg stellen ihre Rezeption des Zusammenhangs der Erkenntnisbegriffe leicht verschieden dar. Das dokumentiere ich in den Concept Maps unten. Willaschek und Höffe sprechen von Vernunft und Verstand jeweils in engerem und in weiterem Sinn. Willaschek und Höffe sprechen von Erkenntnis in engerem Sinn (Willaschek) und weiterem Sinn (Höffe). Erkenntnisvermögen ist bei Willaschek die Fähigkeit oder das Vermögen von Anschauung und Verstand, bei Höffe das untere (Anschauung) und obere (Verstand in weiterem Sinn) Erkenntnisvermögen. In der Reihe der Erkenntnisbegriffe:

Ding (Erkenntnisgegenstand, afiizierend) – Anschauung (passiv  rezipierend) – Verstand (aktiv strukturierend) – Vernunft (Regeln gebend)

kann man immer binär sortieren, je nachdem worüber man sprechen will. Zum Beispiel auch Anschauung und Begriff.

nach Marcus Willaschek

nach Ottmar Höffe

nach Julie E. Maybee

Tätigkeit berücksichtigt [AM]
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